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Interviews
Veröffentlicht am 10.05.2023

Sven und Clara Sauer

Curators Talk mit Sven und Clara Sauer. Beide verbindet die Entwicklung zeitgemäßer Ausstellungsformate, die neue Technologien mit einbeziehen, beleuchten und sich bei den Besucher:innen einprägen.

In ihrer Ausstellung „Machines vs. Human Art“ konnten sich die Besucher:innen ein eigenständiges Bild davon machen, welche Qualität AI Kunst heute hat. Jeder Gast konnte selbst entscheiden, von wem die Kunstwerke mutmaßlich kreiert wurden. Mensch oder Maschine? Der Fokus ihrer Ausstellungen im POP KUDAMM ist, auf provokante Art und Weise, den Besucher:innen durch audiovisuelle Installationen einen Zugang zu diesen Themen zu ermöglichen. Die Besucher:innen der Ausstellung „Tulip Mania“ fanden sich in einer pinken, nebligen Halle unter einem Rechteck von Screens, auf Kissen wieder, die mit einer entschleunigenden, spannungsgeladenden Soundinstallation untermalt wurde. Basierend auf der ersten dokumentierten Spekulationsblase der Menschheit: dem Tulpenfieber. Wie kreiert man Wahrnehmung, die bleibt und bestenfalls niemanden außen vor lässt?   Bei der Installation „Marionette“ trat man durch die Eingangstür in die Dunkelheit. Lief in einen Himmel aus umgedrehten, blitzenden Zelten, begleited von einem melancholischen Sound und dem Licht der flackernden Bildschirme.  Ein Audioguide führte einen durch die informativen und manchmal verstörenden Inhalte der Videos. Eine Ausstellung, die sich mit Deep Fake Technologie beschäftigt. Politiker*innen, denen etwas in den Mund gelegt wird, ohne dass es für den Betrachter erkennbar ist. Köpfe von VIP*s, die unmerklich mit denen von Pornodarsteller:innen ausgetauscht werden. All das ist inzwischen Realität. Deep fake Realität. Umso mehr versteht man die Notwendigkeit und den zeitgemäßen Charakter dieser Ausstellungen.

“Wann verfestigen sich Erfahrungen von Kunstwerken in unseren Köpfen?”. Dieser Frage gehen die Sauer`s in ihrer aktuell kreierten Kunsterfahrung “Himmel unter Berlin” nach. In einem alten Industriebau, einer Turbinenfabrik werden internationale Künstler:innen mit noch nie gesehenen Installationen gezeigt. Die Besucher*innen verlieren sich einem dunklen Stahlbeton Labyrinth von der Größe eines Fußballplatzes. Durch enge Katakomben, vorbei an uralten Pumpen und Leitungen, zwischen Zahnrädern und den Lebensadern der tonnenschweren Dampfmaschinen werden Werke gezeigt, die zum ersten Mal zu sehen sind und eine einmalige Erfahrung generieren.

Pop Kudamm:Ihr habt mehrere Ausstellungen zum Thema Künstliche Intelligenz gemacht. In diesem Jahr lief die von euch kuratierte Ausstellung „Marionette“ zum Thema Deep fake. Was ist das Spannende an der künstlerischen Auseinandersetzung mit KI für euch?
Clara & Sven:Wie wir alle gerade erfahren, wird KI in Zukunft zu unserem Alltag gehören. Die Entwicklungen sind rasant, beeindruckend aber auch einschüchternd. Inzwischen finden Künstliche Intelligenzen auch in der Kunst ihre Anwendung. Das ist interessant, da es vor kurzem noch hieß, dass die menschliche Kreativität die letzte Bastion sein würde, die nicht von KIs übernommen werden kann. Doch die aktuellen Entwicklungen widerlegen das. Scheinbar muss sich gerade die kreative Branche als erstes dieser neuen Wandlung stellen. Ob Text, Musik oder visuelle Kunst. Alle drei Felder werden gerade durch KIs ausgetestet. Diese eigene Fehlwahrnehmung, dass wir als Kreative vor KIs sicher sind, war es wert, darüber zu berichten und Ausstellungen zu entwickeln.
Hier liegt genau die spannende Debatte: Was freie Kreativität wirklich bedeutet, wo die Quelle der kreativen Arbeit liegt und wer am Ende den kreativen Prozess steuert - Mensch oder Maschine? Diese Betroffenheit schafft einen Zugang, durch den sich Menschen mit solch wichtigen Themen auseinandersetzen.
Pop Kudamm:Du warst früher viel in der Filmbranche tätig. Wie kam die Faszination für intensive Ausstellungskonzepte zustande?
Sven:Anfang 2014 habe ich auf einer Kunstveranstaltung ein Gespräch mit einem Unbekannten geführt, welches mich zuerst geärgert hat… und anschließend zu dem führte, was ich heute mache. Im Laufe dieses Gesprächs erzählte ich der Person, dass ich etwas unglücklich darüber bin, dass die ungewöhnlichen Ausstellungskonzepte und Räume der 2000er Jahre Berlins scheinbar zu verschwinden scheinen. Ich weiß nicht, aus welcher Branche mein Gesprächspartner war. Aber er reagierte auf meine Anmerkung recht pampig mit dem Spruch: “Ja mach es halt besser!” Und beendete unser Gespräch mit seinem Verlassen der Location.
Motiviert durch dieses unfreundliche Zusammentreffen entstand sechs Monate später das erste Konzept für eine Ausstellungsreihe, die all die ungewöhnlichen Ansätze enthielt, die ich mir selbst bei Ausstellungen wünschte. Die Inszenierung hieß 360 minutes art und wurde anschließend vier Jahre lang auf der ganzen Welt gezeigt. Unter anderem in Seoul/Südkorea oder Warschau/Polen.
Wir fragten uns bei der Entwicklung: Wie würde sich ein Abend bei uns als unvergesslich einprägen? Wie müßte diese Ausstellung aussehen? So entwickeln wir bis heute…
Pop Kudamm:Als Art Direktorin im Bereich Film bist du inzwischen auch Kuratorin außergewöhnlicher Ausstellungsformate. Wie kam es dazu, dass du dich der Kuration von Kunstausstellungen zugewandt hast?
Clara:Ich bin von klein auf mit Kunst groß geworden. Meine Mutter ist bildende Künstlerin und mein Vater Musik und Soundmeister im Theater. Daher bin ich mit vielen Ausstellungen und Galerie- und Theaterbesuchen aufgewachsen. Nachdem ich für viele Jahre im Bereich des zeitgenössischen Tanzes tätig war, wandte ich mich schließlich mehr dem Film zu. Doch ähnlich wie bei Sven merkte ich schnell, dass die Filmwelt für mich zu anonym und unfrei war. Schon damals arbeitet Sven an Ausstellungskonzepten. Gemeinsam entwickelten wir 2015 mit Jeroen Cremers unsere erste Ausstellung THE DARK ROOMS. Uns hatte der Besuch des Gallery Weekends sehr frustriert, da ein Großteil der Besucher:innen lediglich damit beschäftigt war, von sich selbst Fotos zu machen, statt die Kunst zu sehen. Wir haben uns gefragt, ob wir es schaffen könnten, mit einem einfachen Trick den Fokus der Besucher:innen wieder zurück zur Kunst zu lenken? So kamen wir darauf eine Ausstellung zu entwickeln, bei der keine Selfies möglich sind. Wir schalteten das Licht aus. Wenn wir uns in der Dunkelheit fortbewegen und nur die Kunst partiell beleuchtet ist, werden wir selbst unsichtbar. Es geht nicht mehr um Sehen und gesehen werden - sondern wir konzentrieren uns nur noch auf das Werk. THE DARK ROOMS war unerwartet sehr erfolgreich. Scheinbar hatten wir den Zeitgeist getroffen. Seitdem fokussieren wir uns auf das erschaffen solcher intensiven Kunsterfahrungen.
Pop Kudamm:Was war einer der Themen, die euch bei der Recherche und Produktion zu der Ausstellung „Marionette“ zum Thema Deep Fake am meisten bewegt hat?
Clara & Sven:Wir waren sehr verblüfft, was uns bei der Recherche alles begegnete. Die Werte “Deep Fakes” implizieren im Grunde schon die Schattenseiten dieser Technologie. Zumindest kenne ich keinen positiven Zusammenhang mit Fake/Fälschung. Aber die Nachforschungen haben gezeigt, daß es unfassbar tolle und positive Anwendungen dieser Technologie gibt. Wie z.B. Deep Fakes als Schutzmechanismus, den der Dokumentarfilmer Ryan Laney nutzte, um die LGBTQ+-Gemeinschaft in Tschetschenien vor Folter, Hass und Gewalt zu bewahren. Es ist eine geniale Idee die Gesichter zu verändern, aber die Gestik beizubehalten, um die emotionale Empathie der Zuschauer zu den Protagonisten nicht zu vernichten. Das ist schon ein großartiges Beispiel, wie positiv solch Technologien genutzt werden können.

Foto by Anton Tal

Pop Kudamm:Ist die Einbeziehung von Technologien ein schwieriger Fall für die künstlerische Auseinandersetzung?
Clara & Sven:Wir alle merken, dass sich unsere Wahrnehmung, durch die uns ständig umgebenden Technologien extrem verändert hat. Alles wird schneller. Früher haben Menschen stundenlang ein Ölgemälde angesehen und darüber diskutiert. Mich würde selbst interessieren, ob dies bei jüngeren Generationen noch so ist ? Wir kennen die Zahlen zum Verhalten bei Instagram und TikTok. Durchschnittlich 12 Instagram Bilder pro Sekunde. Halten die gleichen Menschen kurz inne, wenn sie vor einem Werk in einem Museum stehen? Mir konnte diese Frage noch keiner beantworten. Allerdings kennen wir die Zahlen zu den Altersklassen der Besucher von Museen - und diese zeigen einen dramatischen Rückgang der jüngeren Gäste. Unsere Ausstellungen sind Formate, die sich daher eher an genau diese, jüngere Generation, richten. Dachten wir zumindest. Die Inszenierungen finden immer auf all unseren Wahrnehmungsebenen statt: Licht, Sound, Umgebung - alles wird mit einbezogen. Daher fokussieren wir uns in unseren Konzepten sehr auf audiovisuelle Installationen. Wir sind fasziniert, welche Wirkung solche Werke haben und wie Zugänge zu Themen geöffnet werden, mit denen sich Menschen sonst vielleicht nicht auseinander gesetzt hätten. Umso erstaunter sind wir gerade, dass in den letzten beiden Jahren immer mehr Gäste aus allen Altersklassen die Ausstellung besuchen. Technologische Themen sind nicht länger mehr eine Domäne der Jugend. Fragen zu unserer turbulenten Zeit scheinen alle zu erreichen.
Pop Kudamm:Wie wirken sich Deep Fakes auf das Vertrauen von Medien aus, was denkt ihr?
Clara & Sven:Wir verlassen uns immer noch gern auf das Bewegtbild als letzte Instanz der Wahrheit. Doch dieses Vertrauen bröckelt gerade.
Eine Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2019 zeigt, dass das Vertrauen in Nachrichten massiv gesunken ist und deshalb weniger Nachrichten konsumiert werden. Dies liegt u.a. daran, dass es sehr viel Mühe kostet, jede einzelne Nachricht zu überprüfen…weshalb viele Menschen lieber gleich darauf verzichten, sich mit den Meldungen auseinanderzusetzen.
Es gibt sogar einen Begriff dafür: „reality apathy” - Das nahezu vollkommene Desinteresse an den Geschehnissen außerhalb der eigenen Bubble. Am Ende werden wir mit Deepfakes leben müssen. Unsere Abwehr, um das Schlimmste zu verhindern, wird Bildung sein: Gesellschaften und Schulen werden Kinder fit machen im Umgang mit Deep Fakes. Und um die beiden letzten Sätze aus unserer Ausstellung zu zitieren: “Die Verifikationsexpertin Wardle appelliert in ihrem New-York-Times-Video an die Nutzerinnen und Nutzer des Internets: „Wir sollten selbst Verantwortung übernehmen. Wenn Sie sich nicht hundertprozentig sicher sind, dass etwas authentisch ist: bitte teilen Sie es nicht."

“Himmel unter Berlin” Fotos by Carsten Beier

Pop Kudamm:Wenn der Geldrahmen egal wäre, was würdest du gerne mal für eine Ausstellung umsetzen?
Sven:Ich würde gerne mit unserem Team ein riesiges Industrieareal in eine begehbare Inszenierung verwandeln, die ihre Besucher über acht Stunden verschluckt. Wir schaffen es zurzeit, Besucher durchschnittlich zwischen 1,5 - 3 Stunden in unseren Ausstellungen zu binden. Was würde passieren, wenn sie einen ganzen Tag in diesem inszenierten Areal verbringen? Was macht es mit unseren Köpfen?
Pop Kudamm:Ihr habt bereits drei Ausstellungen im POP KUDAMM gestaltet. Welche Besonderheiten spiegelt der temporäre Kulturort in der City West für euch wider?
Clara & Sven:Das POP KUDAMM ist für uns ein Ort für Experimente. Die besondere Architektur ist in Berlin einzigartig. Die silbernen Container reagieren auf Licht und Sound. Ganz anders als weiße Räume. Und wir wurden dazu ermutigt, provokant zu denken. So entstanden Themen und Inhalte, die öffentliche Einrichtungen niemals zugelassen hätten. Das Publikum des Kudamms war für uns ein weiterer interessanter Test, ob solche streitbaren Ausstellungen an diesem Ort funktionieren. Es hat funktioniert. Wir haben viele tausende Menschen erreicht. Das ist wirklich toll.
Pop Kudamm:Welche zukünftigen Projekte können wir zeitnah von euch sehen?
Clara & Sven:Unser nächstes großes Projekt ist Himmel unter Berlin Vol. 2. Zum ersten Mal seit über 100 Jahren werden die unterirdischen Gänge einer der größten Dampfmaschinenfabrik-Hallen Europas geöffnet. Wir dürfen es gemeinsam mit unseren Team und 12 Künstler:innen in ein begehbare Kunstwelt verwandeln.
Stell Dir vor, du befindest Dich in einer geheimen Bar. Atmosphärische Musik umgibt Dich, dir wird ein Drink gereicht. Eine Person geleitet Dich zu einer versteckten Tür in einem alten Wandschrank. Hinter der Tür erwartet Dich eine Reise in die Köpfe von 12 Künstler:innen. Du läufst durch enge Katakomben, vorbei an uralten Pumpen und Leitungen. Zwischen den alten Kühlbecken sind raumgreifende Installationen aus Licht und Klang zu sehen. Und der Ort ist geheim. Er wird unseren Gästen erst 48 Stunden vor dem Besuch mitgeteilt.

About

Clara Sauer:
Clara Sauer kuratiert seit 2016 immersive Ausstellungen in Berlin, die große mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Davor arbeitete Sie als Fotografin und als Art Direktorin im Bereich Film, zudem regelt sie PR und grundsätzlich die Kommunikation ihrer Projekte. Ihr Schwerpunkt liegt in der Ausarbeitung ungesehener und intensiver Ausstellungskonzepte, die dem Besucher eine neue Begegnung mit Kunst ermöglichen und dabei die herkömmliche Präsentationsform des White Cubes hinterfragen. Sie war unter anderm bei Yoko Onos – »Half A Wind Show« und »Sky Piece to Jesus Christ« in der Schirn involviert. 

Sven Sauer:
Sven Sauer studierte Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Film an der RheinMain Hochschule in Wiesbaden und wurde bekannt durch seine Arbeiten in internationalen Filmproduktionen wie “Melancholia” von Lars von Trier, “Super8” von J.J. Abrams und “Oblivion” von Joseph Kosinski. Die Arbeiten, an denen Sven Sauer mitgewirkt hat, gewannen zahlreiche Auszeichnungen, dazu gehören drei Emmy Awards für “Outstanding Special and Visual Effects” mit der HBO Produktion “Game of Thrones” sowie ein Oscar für “Best Visual Achievement” in Martin Scorsese´s “Hugo Cabret”.
Er ist Teil der “Visual Effects Society” und der “Deutschen Filmakademie”.
2012 gründete er mit seinem Künstler-Partner Igor Posavec das Künstlerkollektiv “Sa-Po”.
Zwischen 2010 und 2013 entstanden neben seiner Arbeit für Filme und Serien immer wieder Bühnenbilder am “Hessischen Staatstheater Wiesbaden”. Seit 2013 lebt und arbeitet Sven Sauer als Matte Painter in Berlin.


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