Veröffentlicht am 08.06.2023
Pro Support kontra Konkurrenz
Gemeinsam decken sie ein breites Spektrum verschiedener Genres ab und verstehen, wie gemeinsame Arbeit und kollektive Gemeinschaften auf lange Sicht weiterbringen. Das DJ Netzwerk SLIC Unit aus Berlin und Hamburg teilt, nicht nur durch ihre Migrationsgeschichte, ähnliche Erfahrungen und politisches Engagement. Sie verstehen, dass ein ernst gemeintes Interesse an strukturellen Veränderungen nötig ist, um einen Wandel hervorzurufen. Die fünf Künstlerinnen Jaxx TMS, Nissa, SENU, Slimgirl fat und yung_womb gründeten ihr Kollektiv während des Lockdowns und ließen sich trotz der Umstände nicht davon abbringen, ihre musikalischen Ambitionen voranzutreiben.
Wir haben sie anlässlich ihres Auftritts für ein Event von PUMA im POP KUDAMM interviewt.
Pop Kudamm:SLIC Unit ist ein DJ-Netzwerk bestehend aus fünf Künstlerinnen, wie kam es dazu, dass ihr euch zusammengeschlossen habt?
yung_womb:SENU hörte mich 2019 auf den „Hallo Festspielen“ in Hamburg als DJ und stellte sich mir direkt vor. Damals wusste ich noch nicht einmal, dass sie selbst als DJ auflegte. Ich habe mir ihre Sets angehört, nachdem sie mir auf Soundcloud gefolgt war, daraufhin habe ich sie für Veranstaltungen wie das Formation Now***fest vorgeschlagen und SENU wiederum hat Slimgirl fat empfohlen. Das war das erste Mal, dass wir drei zusammen auf einem Line Up standen.
Nissa lernte ich kennen, als sie nach mir in der „Millerntor Gallery“ auflegte. Wir unterhielten uns Backstage und fanden heraus, dass wir beide eine Primetime Slot Anfrage von derselben Veranstaltung hatten. Wir beide haben abgelehnt. Wir waren beide vor den Vorurteilen der anderen erfahreneren DJs des Line Ups eingeschüchtert, die dachten, wir hätten für einen solchen Slot keine ausreichende Skills. Daraufhin haben wir Nummern ausgetauscht.
Dann habe ich angesprochen, dass keine von uns in einem Kollektiv, bei einem Label oder einer Agentur ist. Es also keine professionelle Möglichkeit gibt, jeden von uns zu buchen. Außerdem passte keine bestehende Gruppe oder Organisation zu 100% von der Ästhetik, Politik oder musikalisch zu uns. Deshalb schlug ich vor, ein Team zu bilden. Während des Entstehungsprozesses erzählte SENU dann Jaxx TMS von unserem Projekt, die später erklärte, dass sie schon lange das Bedürfnis nach einem Kollektiv verspürte und so kamen wir zusammen.
SENU:Ich bin stolz auf uns, dass wir trotz der Verkündung des ersten Lockdowns kurz nach unserer Gründung 2020, alles organisatorisch so gut geschafft haben. Das war nicht der beste Zeitpunkt, um ein neues Kollektiv auf die Beine zu stellen und aufzutreten. Wir ergänzen uns musikalisch sehr gut. Wir decken alle ein Teil verschiedener Genre ab und haben gleichzeitig große Schnittmengen.
Pop Kudamm:Was ist euch so wichtig an der Gemeinschaft eines DJ-Kollektivs? Wofür solidarisiert ihr euch innerhalb der Musikindustrie?
SENU:Ich bin fest davon überzeugt, dass kollektive Gemeinschaften und gemeinsame Arbeit uns auf lange Sicht weiterbringen. Als Frauen und People of Color teilen wir ähnliche Erfahrungen. Dadurch können wir uns gegenseitig stärken, motivieren, mitziehen und unterstützen. Wir haben in den letzten Jahren viele Strukturen aufgebaut und ich bin sehr stolz, dass wir sie miteinander weiterentwickeln und wachsen lassen. Außerdem macht es einfach Spaß, mit allen zusammen aufzulegen oder B2B mit einem SLIC-Mitglied zu spielen, als alleine auf der Bühne zu stehen. Wir nennen das “Collective Joy”.
Bei all der Organisation, die manchmal mit kollektiver Arbeit einhergeht, ist es für uns sehr wichtig, immer wieder Quality Time ohne Party zu haben. Wir versuchen diese Haltung der gegenseitigen Unterstützung auch außerhalb unseres Kollektivs zu praktizieren, indem wir beispielsweise neue FLINTA*DJ´s mit einbeziehen. Über unsere Radioshows Zugänge schaffen oder DJ Workshops anbieten. Leider ist die Musikszene immer noch nicht für alle gleichermaßen zugänglich.
Pop Kudamm: Ist eure Gründung politisch motiviert?
yung_womb:Ja und Nein. Zuerst habe ich praktisch gedacht. Wir würden uns zusammentun, einen Namen finden und eine E-Mail-Adresse für das Booking teilen. Was auf jeden Fall als Notwendigkeit in der vorherrschenden Club-Politik gesehen werden kann. Nach meinem ersten Treffen mit Nissa wurde mir jedoch schnell klar, dass das Ganze noch viel mehr Potenzial hat. Und das wir aus fünf nicht weißen FLINTAs* bestehen, lässt sich nicht anders als politisch lesen. Obwohl es bei unserer Gründung vor allem um Musik, unseren Bezug dazu und die Art wie wir auflegten, ging.
SENU:Ich bin der Meinung, dass unsere Existenz als Gruppe politisch ist. Wir haben in der Vergangenheit Entscheidungen auf Grundlage unserer Werte getroffen. Dies wurde sicherlich durch unsere Erfahrung, als in Deutschland lebende FLINTA* mit Migrationsgeschichte, geprägt. Natürlich haben wir immer noch unterschiedliche Meinungen zu manchen Themen, obwohl wir in einem Kollektiv zusammen arbeiten.
Pop Kudamm:Eure Musik ist ein Mix aus Club- und Downtempo-Sounds. Was fasziniert euch besonders an dieser Musik?
SENU:Ich glaube, sie spiegelt ganz gut die verschiedenen Gefühlswelten und Lebenssituationen wider, in denen man sich befindet. Ich habe Tage an denen höre ich sehr viel Highlife und alten Dub und dann wieder düsteren Gqom. Glücklicherweise haben wir Gigs, bei denen wir, je nach Kontext, diese verschiedenen Musikwelten ausleben dürfen.
yung_womb:Es handelt sich bei Club und Down-Tempo ja nicht um die eine Musik, sondern um verschiedene Stimmungen diverser Genres. Einerseits haben wir alle Genres, die wir im Club auflegen und andererseits alle Genres, die wir außerhalb des Party-Kontext spielen. Ich könnte Stunden damit füllen die einzelnen musikalischen Genre zu beschreiben und meine Faszination dafür, welche ich bzw. wir auflegen.
Pop Kudamm:Euer Kollektiv besteht zwischen Hamburg und Berlin. Was sind die Schwierigkeiten sich zwischen zwei Städten zu organisieren? Welche Unterschiede innerhalb der Clubkulturen gibt es zwischen den Städten? Gibt es welche?
SENU:Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass wir uns selten spontan und kurzfristig treffen können. Das ist sehr schade. Außerdem legen wir an den Wochenenden normalerweise woanders auf, daher freuen wir uns, wenn wir alle zusammen als SLIC Unit gebucht werden und Zeit zusammen verbringen können. Die Berliner Clublandschaft ist zwar generell größer als die Hamburgs, aber bezogen auf die Musik, die wir spielen, ist sie immer noch sehr überschaubar. Ich würde sagen, man lernt doch alle relevanten Veranstaltungen und Kollektive sehr schnell kennen. Ich könnte mir vorstellen, dass es in Hamburg zwischen den Crews etwas mehr Support gibt. Es gibt dort beispielsweise den Golden Pudel Club, der ist einfach einzigartig und legendär, ohne elitär zu sein wie manche Clubs in Berlin. Ich schätze an Berlin, dass es so international ist. Ich denke, die Clubkultur jeder Stadt hat definitiv große Herausforderungen zu meistern, da das Underground-Nischenprogramm kaum mit den kommerziellen Mietpreisen für die Clubs der Stadt mithalten kann. Das beeinträchtigt natürlich die Experimentierfreudigkeit der Clubs.
yung_womb:In Hamburg ist es, denke ich, einfacher, einen gegenseitigen Support und Austausch zu pflegen, durch die übersichtliche Szene und die überschaubarere Anzahl an Clubs, im Gegensatz zu Berlin. Ich liebe es, dass wir z.B. eine gemeinsame FLINTA* DJ Telegram-Gruppe haben, auf der wir uns austauschen können. Dass wir einen Kalender führen, auf denen wir kommende Veranstaltungen teilen, damit wir uns nicht gegenseitig das Publikum nehmen. Es berührt mich immer wieder, wenn Mitglieder anderer Kollektive zu unseren Veranstaltungen kommen, oder uns buchen und sich ehrlich über unsere Erfolge freuen.
Pop Kudamm:Was wünscht ihr euch für die Zukunft eures Kollektivs? In welchen Clubs würdet ihr gerne spielen?
SENU:In erster Linie wünsche ich mir, dass wir noch viele Jahre zusammen auflegen und Spaß daran haben. Zukünftig würde ich gerne mehr Workshops und Veranstaltungen für unsere Community anbieten. Außerdem tagsüber mehr Parties konzipieren, um damit die Musik, die wir spielen, für einen größeren Kreis an Menschen zugänglich zu machen.
yung_womb:Ich denke hier mehr an Veranstaltungen, nicht an Clubs für die ich gerne spielen würde, wie z.B. "Emergent Bass", "Puticlub", "Boiler Room" in Berlin, das "Whole Festival", "Melt Festival" oder" Nachtiville". Und international z.B. das "Somos Festival" in México, das "Bonanza Festival" in Kolumbien, die "P3" Partys in Paris, die "Putiveulta" Partys in Bogotá, die "Proibidæ" Partys in Miami und ein "HiFi" Event im Jumbi, London.
Pop Kudamm:Was muss sich in der Clublandschaft in den nächsten Jahren noch ändern? Was wünscht ihr euch?
SENU:Ich würde mir generell mehr Support und Zusammenhalt in der Szene wünschen. Vor allem auch mehr Transparenz im Bezug auf die Bezahlung. Es sollte weniger das Gefühl dominieren, dass wir Musikschaffende sind, die in stetiger Konkurrenz stehen. Es ist Platz für alle da. Seit geraumer Zeit sind bestimmte politische Haltungen definitiv im Trend, sodass es fast schon Pflichtprogramm ist, sich mit marginalisierten Gruppen in Szene zu setzen. Das gilt innerhalb der DJ-Szene genauso wie für Clubs, Festivals und VeranstalterInnen. Wir brauchen keine Symbolik, sondern ein ernst gemeintes Interesse an strukturellen Veränderungen. Das würde aber auch bedeuten, dass einige Menschen mehr Macht abgeben müssten und ein hohes Maß an Selbstreflektion erforderlich ist. Tatsächlich ist niemand von dieser Arbeit ausgenommen.
Jeder kann diesen Wandel beeinflussen und muss dafür Verantwortung tragen. Ich glaube, man sollte sich gegenseitig daran erinnern und entsprechend handeln, um kollektives Lernen und kollektiven Wachstum zu ermöglichen.
Pop Kudamm:Was würdet ihr jungen aufstrebenden Künstlerinnen mit auf den Weg geben? Was braucht es, um erfolgreich in der Szene zu sein?
yung_womb:Ich glaube nicht, dass es hier ein universelle Zauberformel gibt. Jede Musikszene ist anders und strebt nach unterschiedlichen Aspekten oder Qualitäten eines DJ´s. Deshalb empfehle ich, die Szene und ihre Kultur kennenzulernen und sich vertraut zu machen. Geht zu deren Veranstaltung und supportet. Das erleichtert bestimmt auch die Auswahl des Mediums und den Stil für interessante Übergänge beim Auflegen. Die Personen, Mentor*innen und Kollektive, deren Kontakt für den Einstieg hilfreich sein könnte, hängen auch von der Szene und dem angestrebten Erfolg ab. Zu jeder Szene gehören aber auch bestimmte Clubs, Läden, Streams oder Plattformen, die als bestimmte Milestones eines erfolgreichen DJs gelten, die aber wiederum für andere Szenen komplett irrelevant sind. Und was ist schon ein erfolgreicher DJ? Welche Parameter bestimmen den Erfolg? Sind es viele Gigs, die Gagen, die Auflege-Technik, die Follower, die Auswahl der Musik, die Leidenschaft dafür oder die Performance, die den Erfolg definieren? Und ganz ehrlich: Solange die Betonung der einzelnen Parameter von Szenen zu Szene unterschiedlich ist, sollte sich keiner Gedanken darüber machen, was andere für einen erfolgreichen DJ halten. Jede Person sollte selbst entscheiden, was „Erfolg“ für ihn bedeutet. Schaut nicht nach links und rechts und vergleicht euch nicht mit anderer DJs.
SENU:Ich glaube es ist wichtig einfach anzufangen und sich nicht so viel Sorgen zu machen. Wenn man offen ist und bleibt wird man mit der Zeit die „richtigen“ Leute und Szene finden. Außerdem frag unbedingt nach Hilfe, wenn du nicht weiterkommst. Bau Kontakt zu deinen Vorbildern auf - suche dir vielleicht sogar eine/n Mentor/in. Mir hat es sehr geholfen, mit erfahrenen DJs zu sprechen. Lass dich vor allem nicht von anderen einschüchtern! Versuch, dein Ding zu machen und dabei Spaß zu haben. Denn letztendlich sollte die Liebe zur Musik und die Freude daran im Mittelpunkt stehen.
Slimgirl fat:Wie SENU schon sagt: Stellt Fragen. Schaut euch um, checkt beispielsweise Institutionen, die Workshops, offene Treffen und Beratungen anbieten. Seit der Pandemie ist zum Beispiel das Angebot an digitalen/ lokalen Radiostationen gestiegen. Die sind oftmals eine gute Anlaufstelle, um sich vorzustellen. Das Wichtigste ist in meinen Augen ist, seinen eigenen Weg einzuschlagen und den so zu gehen wie man ihn gehen will. Sich nicht einschüchtern zu lassen von Trends und anderen Einflüssen.
About
SLIC Unit ist ein DJ Netzwerk aus Berlin und Hamburg und wurde 2020 virtuell von Jaxx TMS, SENU, Nissa, yung_womb und slimgirl fat gegründet. Sie teilen nicht nur ihre Begeisterung für Musik, sondern ebenso ihre Sehnsucht nach Einigkeit, kollektiver Freude und radikaler Solidarität in der Musikindustrie. Ihre Clubsets spiegeln ihre jeweiligen Einflüsse wieder: eine innige Verschmelzung aus Afro-Beats, Baile Funk, UK Bass, House, Dancehall, Perreo, US-Club-Music und Rap.
SENU: Aus dem musikalischen und kulturellen Reichtum des schwarzen Atlantiks schöpfend, verliebt sich SENU immer wieder in alte und neue Sounds aus Afrika, Amerika und den urbanen Räumen der verschiedenen Diasporas. Eingebettet in Berlins Vielfalt an Genres, Einflüssen und Ausdrucksformen, entwickeln sich SENU und ihre eklektischen Sets immer weiter – kein Set gleicht dem anderen, aber schwere Basslines und polyrhythmische Arrangements spinnen die Fäden zwischen Afro Beats, Baile Funk, UK Funky, Gquom, Rap und was auch immer ihren eklektischen Sound bereichert. SENU ist eines der Gründungsmitglieder von SLIC Unit, einem BPOC DJ-Kollektiv, das 2020 gegründet wurde, um kollektive Freude und radikale Solidarität innerhalb der Musikindustrie zu praktizieren.
NISSA: Nissas Stil ist beeinflusst von Soul, Disco und frühem Rap, den ihre Eltern ihr nahebrachten, den Pop- und RnB-Hymnen, die sie als Teenager verehrte, und den dunklen Klängen aus Atlanta, Houston und Memphis, die durch die Schlafzimmerwände ihres Bruders sickerten. Ihr Sound, der Bass- und Clubmusik aus der ganzen Welt kombiniert, ist eine vielfältige Soundcollage mit internationalen Perlen.
slimgirl fat: Die Sängerin, Produzentin und DJ slimgirl fat liebt es, Genrekonventionen aller Art zu sprengen. Nicht nur in ihrer eigenen Musik, sondern auch an den Decks. Ihre Lieblingssongs zielen darauf ab, eine besondere, verstörende und emotionale Dynamik zu haben. Ihre Soundsammlung reicht von zeitgenössischem Pop, Hip-Hop, UK Jungle & Hardcore bis hin zu Dancehall und Reggaeton. “Desorientierend, dystopisch, köstlich.”
JAXX TMS: Jaxx TMS – Berliner Selektorin, Organisatorin, Radiomoderatorin und Mitglied des DJ-Netzwerks SLIC Unit, ist bekannt für ihr eklektisches und breites musikalisches Spektrum. Der Mix aus verschiedenen Einflüssen und Genres von Dancehall über Soul, Jazz bis hin zu Hip Hop, Funk und vor allem elektronischen Rhythmen prägt ihre einzigartige Art der DJ-Sets und schafft einen ganz eigenen energetischen Sound.
yung_womb: yung_womb ist eine genre fluid DJ, Radio Host und Performerin aus Hamburg. Sie ist Teil der SLIC Unit einem DJ-Netzwerk, welches sie im Jahr 2020 mitbegründet hat. In ihren Club-Sets spielt sie uns mit Baile Funk, Latin Bass, AfroClub, Dancehall, DrumCore und Ballroom gnadenlos, aber liebevoll gegen die Wand und fordert alle unsere Sinne mit den schweißtreibenden Sounds der Diaspora. In ihren Vinyl Sets und Listening Sets fokussiert sie sich vor allem auf Jazz und Jazz-Fusion, Funk und Vintage Latin und Arabic Sounds. Es ist schwierig sich nicht von ihren Performances und Selection mitreißen zu lassen und erneut unseren Geist mit dem Culo zu verbinden.