Veröffentlicht am 14.06.2023
ichbaumit – Stadtentwicklung in der Praxis
Die Architektin Enrica Ferrucci gestaltet Bauworkshops für das Baukulturvermittlungsprojekt "ichbaumiit". Das sind praktischen Workshops für Kinder, Teens und Erwachsene - in Museen, an Schulen, auf Kulturveranstaltungen und bei Bürgerbeteiligungen. Architektur, Design oder Kunst wird mit einer praktischen Tätigkeit gepaart: Eine große Rolle spielen Geometrie, Statik, Fügen, Kombinieren und Raumwahrnehmung. In dem "ichbaumit" Workshop "Tape it" mit Enrica Ferrucci im POP KUDAMM haben alle die Möglichkeit ihre Zukunftsvisionen auf einer meterlangen Holzwand sichtbar zu machen.
Pop Kudamm:Du bist Architektin und hast dich seit 2017 als freiberufliche Baukulturvermittlerin mit "Ichbaumit" selbstständig gemacht. Wie kam es dazu?
Enrica Ferrucci:Nach langjähriger Berufserfahrung als Architektin habe ich gemerkt: ich brauche ein neues Aktionsfeld. Ich bin - rückblickend gar nicht zufällig - erstmal auf das Arbeiten mit Kindern in Museen gekommen. Dort habe ich begonnen, zu Ausstellungen und damit Themen aus Architektur, Design, Kunst, Ökologie passende räumliche Bauprojekte zu entwickeln, die gezielt Inhalte in Köpfe anderer transportieren. Im Workshop bauen wir diese Projekte mit Kindern, Teens und Erwachsenen gemeinsam. Das Handwerkliche fordert, involviert und festigt Informationen und macht den Teilnehmern Lust - auf Architektur, auf Stadt, auf mehr. Und genau das interessiert mich: der Prozess, das gemeinsame Experimentieren und Gestalten, der Zugewinn an Selbstbewusstsein, Vorschläge und Zukunftsziele der Teilnehmer. Zirkularität, Alltag, Lebensqualität, Nachhaltigkeit, Demokratie, Gesellschaft: alles ist verbunden und lässt sich aus der Baukultur heraus gut (v)ermitteln. Der Schlüssel dazu heißt: Raumwahrnehmung. Sie macht aus Teilnehmern automatisch Mit-Gestalter von Stadt, Gesellschaft und auch von Zukunft. Im Museum wie auch andererorts.
Pop Kudamm:Was möchest du mit "ichbaumit" erreichen?
Enrica Ferrucci:Mir ist es wichtig, besonders in Kindern und Jugendlichen Interesse und Spaß an Baukultur zu erzeugen. Und Selbstvertrauen. Damit wir alle in Zukunft anders – aufmerksamer – mit unserer (gebauten) Umwelt umgehen.
Pop Kudamm:Beim Workshop sollen die TeilnehmerInnen durch Tape Art Ideen für eine zukunftsfähige Stadt entwickeln. Was ist das Besondere beim Visualisieren mit Klebeband?
Enrica Ferrucci:Der Umgang mit den Tapes ist erstmal neu, aber rasch findet jeder seinen Rhythmus und seine Methodik. Wir arbeiten gemeinsam und doch jeder für sich, konzentriert und meistens ohne viele Worte. Die Tapes sprechen für uns und zeigen auf ganz treffende Art und Weise unsere Ideen, Gemeinsamkeiten, Differenzen, die dann zu einem großen Ganzen zusammenwachsen. Das ist jedesmal ein Ereignis.
Pop Kudamm:Wie unterscheidet sich die Arbeit mit Kindern von der Arbeit mit Erwachsenen? Wer hat die besseren Ideen für eine zukunftsfähige Stadt?
Enrica Ferrucci:Kinder stellen sich selber nicht so in Frage wie Erwachsene: erkennen sie ein Problem, dann suchen sie eben nach einer Lösung. Kinder sind sich auch nie zu schade, eine weitere Lösung zu finden, wenn die erste nicht funktioniert hat. Sie scheitern nicht, sie suchen! Und sie besitzen noch ein Supertalent: Geduld. Wir Erwachsene brauchen manchmal etwas mehr Anlauf, um uns zu öffnen und frei vorwärts zu machen. Wir werden schneller selbstkritisch und können auch da viel von Kindern (wieder) erlernen. Gute Ideen jeder Art - auch zur Zukunft der Städte - sind aus meiner Sicht nicht Sache des Alters, sondern der Gedankenfreiheit und Offenheit.
Pop Kudamm:Was macht deine Arbeit so wichtig? Und was möchtest du in Zukunft noch machen?
Enrica Ferrucci:Baukultur ist Teil unseres Alltags und die Vermittlung von (städte)baulichem Grundwissen, das Erleben der Schnittstellen von Architektur zu Kunst, Design, Ökologie oder Sozialem ist gewissermaßen zukunftsprägend. Dennoch fällt zu oft die Frage: ‚WAS IST DENN Baukulturvermittlung?‘ Da muss aus meiner Sicht mehr Klarheit her. Daran weiter (hart) zu arbeiten habe ich vor. Ich will noch ganz viele Projekte erfinden, Workshops durchführen, Menschen interessieren und kennenlernen und irgendwann alt und zufrieden am Meer sitzen und ein Buch über all das schreiben.
Pop Kudamm:POP KUDAMM ist eine Location bestehend aus 35 versilberten Überseecontainern, geplant und entwickelt in einer Zusammenarbeit mit GRAFT Architects. Was hältst du von der Umnutzung solcher Objekte?
Enrica Ferrucci:Meine Werkstatt in München ist eine stillgelegte, ausgebaute Tram aus den Siebzigern und steht im Bahnwärter Thiel, einem stillgelegten Bahnareal mit gestapelten Überseecontainern, Wohnwägen, U-, S- und Trambahnen, in denen Kreative ihre Ateliers haben - ohne Architektenhand aufgezogen. Nun bin ich sehr gespannt auf das POP KUDAMM und sicher, GRAFT Architects haben bei Euch einiges gezaubert. Ich freue mich also, Architektur in Architektur zu bringen und Eure Location zu entdecken.
Pop Kudamm: Außerdem ist POP KUDAMM eine Pop Up Location, also eine temporärer Kulturort. Pop Up Stores/Locations gewinnen immer mehr an Beliebtheit. Wie wichtig werden solche temporären Orte in Zukunft sein?
Enrica Ferrucci:Ich denke, Zwischennutzungen sind ein gutes Signal. Dafür, dass es Lücken im System Stadt gibt, die aufgedeckt, besetzt und von Kulturakteuren zum Leben erweckt werden. Die Frage, die ich auch immer den Kindern stelle, ist: sollen diese besonderen Orte, die unsere Städte so bereichern, weiter aus privater (nicht-öffentlicher) Initative entstehen? Dass wir Orte auch mit temporären Nutzungen immer wieder neu erfinden, ist sicher Teil unserer Zukunft. Der Punkt ist, ob es beim Modus Ausnahme bleibt oder ob man ein System auf den Weg bringt. Da ist noch ganz Luft viel nach oben.
Pop Kudamm:Der Kurfürstendamm ist architektonisch geprägt von modernen Gebäuden mit imponierenden Glasfassaden, die auf typische Gebäude des 19. Jahrhunderts treffen. Wie wichtig ist das Zusammenspiel von modernem Fortschritt und Altbau-Charme?
Enrica Ferrucci:Vielfalt ist Mehr, auch in der Architektur. Wenn unterschiedliche Gebäude das Gesicht der Stadt prägen, ist das erstmal positiv. Die Kunst besteht jedoch darin, Zusammenhänge zu erzeugen, eine Art gestalterische Übersumme, die ein stimmiges Bild ergibt. Am Kurfürstendamm könnte man darüber streiten, das kann man aber andererorts genauso (und das wär mal eine gute Idee für einen Workshop). Fast wichtiger: hinter jeder Gebäudehülle steht eine bestimmte Gebäudenutzung - und dieses Zusammenspiel ist für Stadt und Bewohner eigentlich essentieller, auch und besonders für unsere Zukunft.
Pop Kudamm:Was wünschst du dir für die Zukunft der Stadt Berlin?
Enrica Ferrucci:Dass Berlin noch lebenswerter wird. Für Jedermann, egal woher, mit welcher Geschichte, welchem Beruf und Portmonnaie. Und grüner. Die Sommer werden heisser, und nur Bäume können es für uns richten.
About
ichbaumit macht Raumwahrnehmung zu Hands on. Das fordert, festigt, involviert. Und macht Lust auf mehr.
ichbaumit ist ein Baukulturvermittlungsprojekt der Architektin Enrica Ferrucci. Seit 2017 ist sie leidenschaftlich mit ihren Bauworkshops an unterschiedlichsten Orten unterwegs und gestaltet partizipative Projekte, die Neugier und Spaß an Baukultur erzeugen. Und Selbstvertrauen. Damit wir alle in Zukunft anders – aufmerksamer – mit unserer gebauten Umwelt umgehen.